Was bedeutet eigentlich singen?

Viele spüren den Wunsch, singen zu lernen, sie gehen zu Gesangslehrern, nehmen Gesangsstunden, üben. Doch was bedeutet eigentlich zu singen?

Die Herkunft des Wortes hilft wie immer weiter und enthüllt uns ungeahnte Zusammenhänge.

Im Duden steht: „mit feierlicher Stimme vortragen; bezeichnete ursprünglich wohl das feierliche Sprechen von Weissagungen und religiösen Texten.“

Singen hat also mit feierlichem Vortrag zu tun, es ging um religiöse Texte oder um Weissagungen, also darum, etwas Zukünftiges vorauszusagen.

Ich würde sagen, hier ist ein kleiner Unterschied zu dem, was man heutzutage so hört:

Man hört jeden Tag Lieder, sie sind meist weltlich und erzählen oft davon, was man erlebt hat.

Doch was tut man wirklich, wenn man singt?

Schauen wir in eine andere Sprache, z.B. ins Lateinische:

Hier heißt „singen“ „cantare“. Ursprünglich bedeutete es „zaubern, durch Zauber schaffen“.

Bekommt man da nicht die Idee, wie der Mensch durch seine Stimme, seine Laute zauberte, Veränderungen bewirkte?

Ein „Cantor“ ist nicht nur ein Sänger, sondern auch ein Zauberer oder Schamane, wie etwa im Spanischen.

Bringt uns das nicht näher an das heran, worum es beim Singen geht?

Und noch ein weiterer Zusammenhang: Die Worte für Dichter, für Sänger, für Zauberer gehen in vielen Sprachen auf die gleiche Wurzel zurück. Hier ein Beispiel: Das lateinische Wort „carmen“ bedeutet nicht nur Lied, Gesang, sondern auch Gedicht, auch Klang und wiederum Weissagung, Orakelspruch, Zauberspruch.

Im Griechischen war das Wort für Singen „meloidia“, das Wort für Lied „melos“. Und was machte man, wenn man sang? Man chantete lyrische Poesie.

Der enge Zusammenhang zwischen Wort und Gesang, zwischen Wort und Verzauberung ist doch verblüffend. Wer bekommt da nicht Lust, singen zu lernen und zu singen?

Liebe Grüße

Gerd Pölzl