Vor vielen Jahren war ich in Portland, Oregon, beim Konzert eines hervorragenden Gitarristen. Es muss so etwa September 1999 gewesen sein. Das Konzert war völlig ausverkauft und jeder Platz war besetzt. Aufgeregt erwartete ich die Show.
Erst kam die Vortruppe, die nett und unterhaltsam war. Sie tat, was sie tun sollte: Sie wärmte das Publikum auf.
Aber nun endlich kam er persönlich! Ich hatte mich schon richtig gefreut.
Er betrat die Bühne, den Blick starr auf seine Gitarre gerichtet. Er ging in die Mitte der Bühne griff nach der Gitarre, schloss sie an und legte los. Er hielt den Blick auf sein Instrument und manchmal auf seine Musikerkollegen gerichtet.
Und sonst?
Nichts.
Da war nichts.
Ich fühlte mich total ausgeschlossen.
Ja, die Musik war laut, keine Frage, aber ich war komplett ausgeschlossen aus seiner Welt! Wäre da oben auf der Bühne ein Film abgelaufen, hätte ich nicht weniger involviert sein können.
Der Gitarrist zog da oben sein Ding ab, spulte die Lieder und die Soli runter und ging wieder heim. Und ich ging dann auch heim.
Nur, damit das klar ist: Er hat weder „Hallo Portland“ noch sonst irgendetwas gesagt. Nix. Null. Er hat sein Publikum völlig ignoriert.
Ich kam mir wirklich vor wie betrogen. „Nicht einmal ignoriert hat er uns“, bemerkte ich verwundert zu meinem Bekannten, der mich zum Konzert mitgenommen hatte und selbst Gitarrist war. Denn wenn ich die CD einlege, sehe ich auch nicht weniger, als ich an diesem Abend in Portland auf der Bühne gesehen habe. Er tat alles, um ja nicht ins Publikum sehen zu müssen.
Wahrscheinlich hält er es mit Max Raabes „Ich bin nur gut, wenn keiner guckt“…
Seither hab ich viele Konzerte besucht. Etliche davon hatten eine geringere musikalische Leistung, doch der Unterhaltungswert war grandios. Keines war jemals so schlecht in der Kommunikation von der Bühne zum Publikum.
Der Abend hat mich so stark beeindruckt und ich kam damals zum (voreiligen) Schluss: Es gibt halt Studiomusiker, die technisch gut sind und Bühnenmusiker, die das Publikum unterhalten.
Hätte dieser Weltklasse-Gitarrist das Kreativitätsseminar von Sallee Slagle gemacht, hätte er sein Publikum vor ausverkauften Hallen vor Begeisterung von den Sitzen reißen können, ohne auch nur einen einzigen Ton anders zu spielen! Seine Kritiken wären unhaltbar gut gewesen und die CD-Verkäufe in der Pause wären hinter langen Schlangen von kauflustigem Publikum versteckt gewesen.
Es hat ihm einfach keiner gezeigt, wie er seine Kreativität und Fertigkeit, die er in den Fingern hat, auch in seine Augen, in seine Körpersprache und somit aufs Publikum übertragen kann.
Denn was will ein Publikum eigentlich vom Künstler?
Also ich will unterhalten werden. Ich will angesprochen werden. Der Mensch da oben auf der Bühne sollte mich mal ansehen, eine Bemerkung machen, das Publikum wahrnehmen.
Da fällt mir noch so ein Beispiel ein: Ich war einmal bei einem Vortrag der Wirtschaftskammer eingeladen. Ein namhafter EU-Politiker war auch geladen und sprach zu uns.
Zu uns?
Nein, eigentlich nicht. Er sprach ausschließlich zu den Sektionschefs und Kommerzialräten, die in der ersten Reihe saßen. Das wählende Volk ab der zweiten Reihe nahm er nicht wahr. (Also den wähle ich jedenfalls nicht.)
Wenn Dolly Parton den Raum betritt, drehen sich die Köpfe nach ihr um. Sie beherrscht die Bühne sogar schon dann, wenn der erste Schritt auf die Bühne noch gar nicht vollendet ist. Sie schaut direkt ins Publikum, sie lächelt, sie strahlt, sie bewegt sich in ihren Stöckelschuhen fast wie ein Flummi (= Gummiball) und kichert fröhlich vor sich hin.
Klar, die Witzchen, die sie reißt, hat sie sicherlich schon oft gemacht. Aber sie präsentiert sie so, als ob sie ihr gerade jetzt eingefallen wären.
Technisch ist der Gitarrist Dolly Parton um Häuser überlegen – keine Frage. Dolly kann weder Noten lesen (sagt sie von sich selbst), noch komplizierte Läufe auf der Gitarre spielen, da ihre Fingernägel einfach zu lang sind.
Der große Unterschied zwischen den beiden ist die Fähigkeit den Raum einzunehmen und das Publikum zu unterhalten.
Wenn du schon mal ein Seminar von und mit Duncan Lorien gemacht hast, dann weißt du, dass man Musik erlernen kann. Auch wenn man denkt, dass man unmusikalisch ist.
Und so ist es auch mit der Fähigkeit, einen Raum zu unterhalten, das Publikum trotz technischer Höchstleistung auf der Bühne in die Musik einzubinden.
Sallee Slagle, die Frau von Duncan Lorien, war vor vielen Jahren erstmals in Wien. Gott sei Dank kommt sie wieder.
Samstag, 23. und Sonntag 24. November bringt sie dir in Wien die Bühnenpräsenz bei, von der du jetzt vielleicht noch denkst, sie nie erlenen zu können. Aber dazu musst du dich gleich anmelden, denn es sind nur noch wenige Plätze frei:
https://www.musikverstehen.net/kreativitaet-durch-bewegung/
Liebe Grüße
Gaby Strasky und Gerd Pölzl